Das wahre Problem ist zu wenig Wasser

THM-Hydrologe Prof. Dr.-Ing. Steffen Heusch: Städte müssen sich an Klima anpassen.

THM-Hydrologe Prof. Dr.-Ing. Steffen Heusch: Städte müssen sich an Klima anpassen 

„Absoluten Schutz gibt es nicht“, sagt Steffen Heusch. Der Professor für Hydrologie und Wasserwirtschaft an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) hat die Ereignisse im Ahrtal und den anderen Überflutungs-Regionen Mitte Juli genau verfolgt und gibt eine ernüchternde Prognose: Derartiges wird künftig häufiger geschehen. Der Mensch, die Gesellschaft könne sich vorbereiten, aber nicht komplett absichern. Insbesondere müsse Hochwasserschutz neu und umfassender gedacht werden, sagt er.

Dabei sieht Heusch Mittelhessen für Hochwasser an den großen Flüssen grundsätzlich gut gerüstet. „Die Deiche an der Lahn sind in der Regel ausgelegt für ein hundertjährliches Hochwasser-Ereignis“, erklärt er. Ein Hochwasser, wie es statistisch nur alle 100 Jahre auftritt, müsste also in der Region gut überstanden werden. Zumal Hochwasser, wie sie an Elbe und Oder in Erinnerung geblieben sind, sich über Tage hinweg aufbauen, die Scheitelwelle berechenbar ist, Menschen und kritische Infrastruktur gut geschützt werden können. „Das Ahr-Ereignis war vergleichbar mit einem Starkregen-Ereignis“, sagt Heusch: Viel Regen fiel in einem engen Flusstal mit hoher Vorfeuchte in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum, sodass die Hochwasser-Rückhaltebecken und Talsperren schnell gefüllt waren.

„Starkregen kann überall auftreten“, erklärt Heusch und erinnert an das Jahr 2018, als Ende Mai in Gießen binnen 90 Minuten mehr als 50 Liter pro Quadratmeter fielen, was in der Region einem hundertjährlichen Regen entspricht. „Auf den Pegel der Lahn hatte das keine nennenswerte Auswirkung“, grenzt Heusch das Ereignis vom Hochwasser ab. Auswirkungen sollten solche Ereignisse hingegen auf die Stadtplanung haben, sagt er. Und sieht einen grundlegenden, nur schwer aufzulösenden Konflikt: Den um die Fläche.

Mobilität, Wohnen, Gewerbe, Energieerzeugung und die Wasserwirtschaft würden um jeden Hektar ringen. „Eigentlich bräuchte man zehn bis 20 Prozent der Fläche für wasserwirtschaftliche Anlagen“, sagt er und fügt an: „Erzählen Sie das mal einem Investor.“ Die Alltagserfahrung der Bürger führe zudem zu Akzeptanzproblemen: „Ein Rückhaltebecken für ein Neubaugebiet ist in der Regel für ein fünfjährliches Starkregenereignis ausgelegt“, sagt er und präzisiert: „Es ist also nur alle paar Jahre komplett gefüllt.“

Weitere Konflikte kämen hinzu, etwa mit der Barrierefreiheit oder der Verkehrssicherheit: „Wasserwirtschaftler würden am liebsten überall hohe Bordsteine bauen, damit der Regen bei Extremereignissen nicht in die Häuser tritt, sondern auf der Straße bleibt“, sagt Prof. Heusch. Oder im Hausbau: Wassernahe Lage ist attraktiv, Ebenerdigkeit ist attraktiv – alte Häuser haben meist aus gutem Grunde ein paar Stufen vor dem Erdgeschoss. Der Wissenschaftler ist überzeugt, dass solche Konflikte gelöst werden können: „Neubaugebiete müssen fachübergreifend geplant werden“, fordert Heusch. Und zwar parallel, nicht konsekutiv. Auch die Bauherren müssten ihren Anteil leisten. Vor allem aber müsse der politische Wille für wasserbewusste Stadtplanungen vorhanden sein.

Denn das, sagt Heusch, mildere nicht nur die Folgen von Starkregen ab, sondern wirke dem aus seiner Sicht größeren Problem entgegen: „Trockenheit und Hitze sind genauso drängend. Die Klimaveränderung ist da“, sagt er, etwa mit Blick auf die vergangenen Sommer. Und sieht das Konzept der Schwammstadt als Lösungsansatz: „Wir müssen so viel Wasser wie möglich in der Stadt behalten“, erklärt er und rechnet vor: In Mittelhessen falle etwa 650 Millimeter Niederschlag im Jahr. 500 Millimeter würden auf naturnaher Fläche verdunsten, die restlichen 150 Millimeter je etwa zur Hälfte versickern und oberflächig abfließen. Diese Werte gelte es, auch bebaut zu erhalten – stattdessen würde Versiegelung die Zahlen dramatisch umkehren.

Die Schwammstadt – viel Grün, wenig Versiegelung, offene Wasserflächen, gegebenenfalls unterirdische Zisternen – soll das Wasser eines Regens nicht in die Kanalisation abgeben, sondern an die Pflanzen. „Verdunstung schafft Kälte“, sagt Prof. Heusch. „Es gibt Neubaugebiete in Deutschland, die zeigen, dass es möglich ist, ohne Regenwasserkanal zu bauen“, berichtet er. So könne ein Stadtumbau in neuen Wohn- und Gewerbegebieten beginnen. „Aber das Prinzip Schwammstadt muss bei jeder Baumaßnahme mitgedacht werden“, führt Heusch aus – damit langfristig die ganze Stadt regen- und dürrefest werde.

„Auch eine Schwammstadt entpflichtet Planende und Bauherren aber nicht, hochwassergerecht zu bauen“, sagt Prof. Dr.-Ing. Steffen Heusch. Denn gleich ob Regenrückhaltebecken oder Stadtgrün und Zisternen: Vor Ereignissen wie an der Ahr kann all dies nur sehr bedingt schützen. Im Extremfall helfe nur noch eine funktionierende Alarm- und Meldekette.