Jade Hochschule erforscht Richtungshören von Kindern

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Die Wissenschaftler entwickeln eine App, mit der die Lokalisationsfähigkeit des Kindes aktiv trainiert werden kann. Die App kann auf einem Smartphone oder Tablet betrieben werden oder stationär in Kombination mit einer 3D-Brille.

Bessere Unterstützung für Grundschulkinder mit Hörschwierigkeiten

Vier bis sieben Prozent aller Grundschulkinder weisen ein gestörtes räumliches Ortungsvermögen auf, also die verminderte Fähigkeit zu erkennen, aus welcher Richtung Geräusche kommen. Ziel eines aktuellen Forschungsprojektes der Jade Hochschule ist es, diese Kinder im Klassenraum zu unterstützen und ihnen auf diesem Wege eine bessere Teilnahme am Unterrichtsgeschehen zu ermöglichen. In dem Forschungsprojekt „Binaurales Hören in der realen und virtuellen Welt zur Verbesserung der Hör-Erfahrung von Schulkindern (ViWer-S)“ entwickeln die Wissenschaftler technische Hilfen, welche das Hörverstehen verbessern sowie die räumliche Zuordnung einzelner Geräusche erleichtern. Des Weiteren wird ein Programm aufgebaut, das Kindern hilft, diese Fähigkeiten zu trainieren.

Stimme der Lehrkraft „mitten im Kopf“

Es existiert eine Vielzahl an technischen Hilfsmitteln für Menschen mit Höreinschränkung. Die Bandbreite reicht, je nach Grad und Art der Einschränkung, von einfachen Hörgeräten bis hin zu Innenohrimplantaten mit intelligenten Steuerungsmechanismen. Jedoch kommt im Klassenzimmer hauptsächlich die sogenannte „FM-Anlage“ (heute: Drahtlose Akustike Übertragungsanlage DAÜ) zum Einsatz. Diese besteht aus einem Mikrofon, welches die Lehrkraft um den Hals trägt. Von dort aus werden die Signale per Funk direkt zum Hörgerät des Kindes geschickt. Die auf diese Weise übertragene Stimme enthält keinerlei Raumeinflüsse wie zum Beispiel Hall oder andere Störgeräusche, welche die Sprachverständlichkeit verringern. „Jeder Mensch der einmal ein Monosignal mit einem Kopfhörer gehört hat, weiß jedoch, dass die Stimme der Lehrkraft nun „mitten im Kopf“ wahrgenommen wird“, sagt Dr. Jörg Bitzer, Professor für Audiosignalverarbeitung an der Jade Hochschule. Dieser Effekt sei nicht nur sehr unnatürlich, sondern hätte auch Folgen für die Entwicklung des Hörsinns. „Während normalhörende Kinder alle wichtigen Geräusche aus allen erdenklichen Richtungen wahrnehmen und dadurch lernen, Schallereignisse korrekt zu orten, bleibt diese Stimulation bei Nutzung einer FM-Anlage vollständig aus, da ja alles Gehörte direkt im Kopf stattfindet – und das viele Stunden täglich“, erklärt Dr. med Karsten Plotz, Professor für HNO-Heilkunde, Phoniatrie und Pädaudiologie. Dadurch werde die ohnehin schon verringerte Entwicklung eines gesunden Gehörs also noch weitreichender beeinträchtigt. Hinzu kommt, dass es neben der Lehrkraft noch weitere relevante Schallquellen im Klassenzimmer gibt, wie beispielsweise Medien oder andere Kinder, welche von dem Mikrofon der FM-Anlage nicht aufgefangen werden können.

Besser hören im Klassenraum

Das Projekt ViWer-S hat sich zum Ziel gesetzt, diese Situation zu verbessern. Es besteht aus zwei Teilprojekten. Im Abschnitt „Besser hören im Klassenraum“ wird eine Alternative zur FM-Anlage entwickelt. Diese besteht aus einer Mikrofonanordnung (einem sogenannten Array), welche direkt auf dem Tisch des jeweiligen Kindes platziert wird und die Signale, die sie aufnimmt, an einen kleinen, transportablen Computer weiterleitet. Die dazugehörige Software ermittelt, von wo die Geräusche kommen, wie viele Schallquellen es gibt und welche davon gerade wichtig sind. Diese werden dann in ihrer Qualität verbessert und an das Hörgerät des Kindes übermittelt und zwar so, dass sie „aus der richtigen Richtung“ wahrgenommen werden können. Da das Mikrofonarray fest und unbeweglich auf dem Tisch steht, muss selbstverständlich auch die Kopfbewegung und -Ausrichtung des Kindes miteingerechnet werden. Informationen hierzu liefert ein Head-Tracker, der vom Kind getragen wird. „Eine besondere Herausforderung unseres Forschungsprojektes ist, dass alle Berechnungen in Echtzeit stattfinden müssen, da eine zeitliche Verzögerung von mehr als zehn Millisekunden bereits als störend empfunden wird“, sagt Bitzer. Außerdem soll das technische Gerät mobil, platzsparend und leicht zu transportieren sein.

Foto: Ulrik Kowalk